50 Jahre Bear Family Records

Persönliche Betrachtung, Erinnerungen und Hommage an DAS Kultlabel aus Sicht eines Vinyl maniacs

Auf BF 15000 erschien 1975, also vor genau 50 Jahren, mit der Doppel LP  „Bill Clifton – Going back to Dixie“ das Veröffentlichungsdebut jener deutschen Schallpattenfirma, die sich im Laufe der folgenden Jahre zum bedeutendsten und zweifelsohne auch besten Wiederveröffentlichungslabel weltweit entwickelte.

In den Gründerjahren noch sehr folklastig ausgerichtet, horchte der 50ér Jahre interessierte Sammler / Musikverrückte spätestens 1978 auf, als Bear Family erstmalig, bis dato unveröffentlichtes Material von Johnny Cash auf den Markt brachte. Noch im gleichen Jahr wurde durch die Veröffentlichung des Robin Luke Albums „Susie Darling“ angedeutet, in welche Richtung es zukünftig mit dem Label gehen sollte. 

Mit nachfolgenden LP´s von Künstlern wie  Janis Martin, Bob Luman und Rusty & Doug Kershaw im Jahre 1979, setzen sie dann auch erste wirkliche „Meilensteine“ auf dem Re-issue Sektor. Immer ausführlicher werdende Linernotes, inclusive detaillierter Session Details, ließen die weiteren Scheiben nicht nur zu einem Ohrenschmaus werden, sondern befriedigten auch die Wissensgier der interessierten Sammler.

Obwohl in meiner Heimatstadt Bremen ansässig, dauerte es fast fünf Jahre bis ich Ende 1979 / Anfang 1980 selbst, bzw. persönlich auf die Bärenfamilie stieß. Als ich meine Liebe und Leidenschaft für die Musik der 50ér Jahre im kindlichen, bzw. früh jugendlichem Alter entdeckte, war es zunächst noch nicht Bear Family Records, die mich mit Vinyl versorgten, sondern ein kleiner Schallplattenladen im Bremer Ostertorviertel namens Harlekin Records. Dieser grandiose Laden, der für mich damals „den Himmel auf Erden“ darstellte, wurde von Jürgen Feuß, einem langjährigen früheren Wegbegleiter von Bear Family Gründer Richard Weize geführt.

Neben Harlekin Records, leitet Jürgen auch das Folk Variety Label, auf dem er einige fantastische Alben u.a. von Mac Odell, Howard Vokes und Gary Williams veröffentlichte.  

Erst nachdem ich, neben dem Kauf einiger heißer Collector Records Scheiben, immer häufiger, mich faszinierende Schallplatten mit dem Abbild einer Bärenfamilie in meinen Einkaufstüten fand, wurde ich auf dieses Label richtig aufmerksam. Fortan lungerte ich also nicht nur bei Harlekin Records herum, sondern erweiterte „mein Revier“ bis zur nahe gelegenen Eduard-Grunow-Straße, dem damaligen Sitz der Bärenfamilie.

Im Gegensatz zu Harlekin Records, handelte es sich bei den Räumlichkeiten in der Eduard Grunow Straße aber nicht um einen Laden im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um ein Lager, von dem aus hauptsächlich Ware versandt wurde. Von außen ein unscheinbares Alt Bremer Reihenhaus in Bahnhofsnähe, deutet bis auf ein kleines Klingelschild mit der Aufschrift „Bear Family Records“ von außen nichts auf die faszinierende Innenwelt des Gebäudes hin.

Obwohl mein Interesse und meine Begeisterung für die Musik zu diesem Zeitpunkt schon um ein vielfaches größer war als mein Geldbeutel und ich aus „kaufmännischer Sicht“ zu dieser Zeit ganz sicher kein lukrativer Großkunde war, ließen mich die damaligen Mitarbeiter immer wieder in ihren Regalen stöbern, um sich anschließend Löcher in den Bauch fragen zu lassen. 

Sehr schnell kannte ich mich in den Regalen der Firma besser aus als manch ein Mitarbeiter und so kann ich mich erinnern, dass ich nach Schulschluss einen Telefonanruf eines Mitarbeiters erhielt, der mit einer Kundenberatung zum Thema  Doo Wop überfordert war. Auf seine Frage, ob sie (Bear Family) so etwas überhaupt im Programm haben, konnte ich ihm nicht nur all die feinen Scheiben aus diesem Sektor aufzählen, die sie in ihrem Großhandelsprogramm vorrätig hatten, sondern auch die damals noch neue „Rockin´Rollin´Vocal Groups“ Serie empfehlen und auch gleich den Lagerort benennen (Mittelregal, vorletzte Reihe, drittes Fach von rechts). Ein Erinnerungsvermögen dass ich im Verlaufe meines Lebens leider nicht vollständig konservieren konnte.

Eine LP kostete damals 20,-DM, was für einen 12, 13 oder 14jährigen Schüler eine ganze Menge Geld war und in etwa dem monatlichen Taschengeld entsprach. 

Da mein Bedarf an guter Musik damit nicht ansatzweise gedeckt werden konnte, hielt ich es damals für eine großartige Idee, mit Bear Family einen Deal auszuhandeln, der mir praktisch einen Händlerrabatt einräumte, so dass ich statt 20,- lediglich 12,- DM für eine Platte zu bezahlen hatte. Dafür suchte ich, die für mich wichtigsten, 200 Langspielplatten heraus und vereinbarte eine Ratenzahlung.

Als ich dann wenige Stunden später, völlig stolz und glücklich, mit 200 nagelneuen, großartigen Langspielplatten und einer Gesamtrechnung in Höhe von 2400,- DM nach Hause kam, konnte mein Vater meinen Stolz, Freude und Begeisterung aber nur sehr bedingt teilen. Ganz im Gegenteil. Er wirkte eher aufgebracht und sauer und sprach von merkwürdigen Dingen wie „nicht geschäftsfähig“ und „Taschengeldparagraphen“. 

Ziemlich aufgebracht setzte er mich samt der beiden großen Kartons mit meinen neuen Platten ins Auto, um mit mir in die Bärenhöhle zu fahren, um dort das „Geschäft rückgängig zu machen“. In der gut 40 minütigen Autofahrt von Bremen Nord bis zur Eduard Grunow Straße, gelang es mir  meinen Vater von seinem Vorhaben abzubringen. Nachdem ich ihm detailliert von meinen geplanten Nebenjobs und der langfristigen Rückzahlung in Raten, die meinem Schüler Nebenjobeinkommen entsprechen würden, berichtete.  Im Rembertikreisel, wenige Meter vor dem Bear Family Gebäude hatte ich ihn endlich überzeugen können, so dass wir ohne Gespräch mit den Bear Family Verantwortlichen, dafür aber mit meinen 200 Platten im Gepäck, unverrichteter Dinge die Rückreise nach Hause antraten.  (Für alle Paragraphenreiter und Korintenkacker: Der Vorgang ist längst verjährt und das Opfer (ich) ist dem Täter (Bear Family) bis zum heutigen Tage für diesen, dem sogenannten „Taschengeldparagraphen nicht entsprechendem“ Deal dankbar)

Doch kommen wir zurück zum Wesentlichen: Den Bear Family Scheiben!

1981 setzte Bear Family mit der Veröffentlichung der BFX 15068 dann den Grundstein für ihre folgende, weltweite Vormachtstellung auf dem Re-Issue Sektor. Bei der erwähnten Scheibe BFX 15068 handelt es um das 5 LP umfassendes Box Set „Rockin´Rollin´ Bill Haley“.  Aufwendig gestaltete Box Sets von Conway Twitty, Bob Wills, Jerry Lee Lewis, Johnny Horton und SUN Records folgten und wurden zum internationalen Aushängeschild der Firma.

Zu meinem großen Entsetzen, machte sich bereits in der frühen ersten Hälfte der 1980ér Jahre ein neues Medium / Tonträger breit, das sich als echte Bedrohung für mein geliebtes Vinyl und Schellack entwickelte. So begann Bear Family bereits im Jahre 1985 mit der Produktion von CD´s. Zunächst parallel zu weiteren Vinylveröffentlichungen, setzte sich auch in der Bärenhöhle der fiese Silberling mehr und mehr durch, so dass 1991 die Vinylproduktion (nach der Johnny Horton Box BFX 15289) im Grunde genommen eingestellt wurde.

Ist die Anzahl der Vinyl Box Sets auf Bear Family noch recht überschaubar, so wurden bis zum heutigen Tage eine fast schon unüberschaubare Menge an CD Box Sets veröffentlicht. 

So sehr ich auch CD´s verachte, so unmöglich erscheint es, auf eine Vielzahl der Bear Family Boxen verzichten zu können. Die Liebe, Leidenschaft und das Fachwissen, die die Macher dieser Boxen in die jeweiligen Projekte investiert haben, ist jeder dieser Box Sets anzumerken. Auch wenn ich mich jahrelang (oder war es gar jahrezehnte lang) gegen den Kauf von einzel CD´s gewehrt habe, konnte ich natürlich die Sets zu Themen wie Sun Records (Sun Singles Vol. 1 – 5, Classic Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Johnny Cash, Billy Lee Riley u.s.w), D Records, Sarg, Lin & Kliff nicht ignorieren. 

Die monumentalen Louisiana Hayride und Big D Jamboree Boxen NICHT zu besitzen, würde ich ebenfalls als verschenktes Leben bezeichnen. 

Wer die faszinierenden und atemberaubenden Begleithefte / Begleitbücher / Begleitmonumentalwerke der Jimmie Rodgers, Carter Family, Lefty Frizzell, George Jones, Stonewall Jackson, Jack Scott, Marvin Rainwater, Johnny Burnette, Ricky Nelson, Bob Luman, Gene Vincent, Eddie Cochran Boxen, sowie viele weitere kennt, wird verstehen, dass man solche Boxen NICHT nicht kaufen kann. 

Eine Box besser als die andere,  ist es einzig und alleine meinem löchrigen Geldbeutel geschuldet, dass sich leider nur gut ein Drittel der mehr als 300 Boxen in meiner Sammlung befinden.

Neben den ausgezeichneten Bear Family Produktionen und großartigen Serien wie Bison Bop, Collector Records / White Label und einigen weiteren, war es insbesondere Charly Records aus England, die die Sammlerszene der späten 70ér und 80ér Jahre maßgeblich beeinflussten. 

Charlie Records hatte sich sowohl durch die Veröffentlichung von ausgezeichneten LP Serien, als auch durch ihre großartigen Box Sets  zum „Überthema“ SUN Records mehr als nur verdient gemacht. Ihre „Carl Perkins, Johnny Cash, Jerry Lee Lewis „Sun records – the rockin´Years“, „Sun into the 60´s“ Box Sets, dürften wohl in jeder Sammlung eines damals schon interessierten Musikbegeisterten stehen. 

Charly Records hatte lange Zeit die Exklusivrechte für sämtliche SUN Records Aufnahmen und sie leisteten mit ihren Veröffentlichungen großartige Arbeit.

Als sich dann jedoch im Jahre 1986 Bear Family Records mit der Veröffentlichung der ED Bruce LP BFX 15194 erstmalig dem Thema Sun Records zuwandte, war mir sofort klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein sollte, bis das bis dato schon recht gut durchleuchtete Thema „Sun Records“ zukünftig auf ein noch höheres Level und Niveau gestellt wird. 

Im gleichen Jahr brachte Bear Family die 11 LP Box „The Sun Country Years“ heraus. Zahlreiche weitere Box Sets zum Thema, sowie unzählige Einzelveröffentlichungen folgten. Ohne es exakt überprüft zu haben, würde ich aus dem Bauch heraus behaupten, dass es mit Ausnahme der Million Dollar Quartett Aufnahmen, keine weiteren Aufnahme gibt, die in irgendeiner Form etwas mit SUN Records zu tun haben, die nicht in irgend einer Form auch unter dem Bären Banner veröffentlicht wurde.

Wer sich also für dieses Thema brennend interessiert, der ist nirgendwo besser aufgehoben als bei Bear Family. 

Doch kommen wir zurück zum heißgeliebten Vinyl. Nach einer langen vinyllosen Zeit, startete Bear Family 2003 mit drei 180 Gramm 12“  Veröffentlichungen die neue BAF 18000ér Serie.  Janis Martin, Joe Clay und Charlene Arthur waren die Protagonisten, die die lang ersehnte Wiedergeburt der Bear Family Vinylveröffentlichungen einleiteten.  Es blieb jedoch zunächst bei diesen drei Veröffentlichungen, ehe ab 2009 die 18000ér Serie regelmäßig mit neuen LP´s bestückt wurde.

2013 wurde dann mit der BLE 001 von Jimmy Dell / Don Cole auch erstmals eine  7“ Serie ins Leben berufen, die uns seither u.a. großartige 45ér von Jesse Lee Turner / Leonard Brothers, Jimmy Donley, Warren Smith, Tommy Hill und Weldon Rogers bescherte.

Zwei Jahre später wurde der Bear Family Vinyl Club gegründet, unter dessen Banner seither in der BAF 11000ér Serie insgesamt 41 farbige Vinylplatten im 10“ Format veröffentlicht wurden. Bei den Scheiben der 11000ér Serie handelt es sich um sehr interessante Sammler Sonderauflagen. Der Reiz dieser Serie besteht darin, dass es sich um detailgetreue Reproduktionen von sehr seltenen und im Original kaum bezahlbaren internationalen Veröffentlichungen handelt. So wurden hier beispielsweise japanische Pressungen von George Jones, Conway Twitty, Bobby Darin und Gene Vincent wiederveröffentlicht, wie auch eine niederländische Ricky Nelson, eine australische Bill Haley oder eine britische Louis Jordan LP. Herausgebracht, jeweils in wunderschönem farbigem Vinyl und aufgepeppt durch thematisch passende zusätzliche Songs, die auf den Originalpressungen fehlten.

So rar die Originalpressungen auch sein mögen, so unspektakulär oder wenig rar sind die darauf befindlichen Aufnahmen, die allesamt in anderer Form zuvor sowohl auf US amerikanischen Originalen, wie auch bereits auf diversen Re-issues  Alben veröffentlicht wurden. 

Sehr hübsch gemacht und ganz sicherlich auch sammelwert. Sofern man nicht im Geld schwimmt und in Anbetracht der Masse an anderen erhältlichen Country, Rockabilly, Rock´n´Roll und Bluesscheiben, aber auf der „Wantlist“ der meisten wohl nicht im oberen Bereich zu finden.

Ganz oben auf jeder Wantlist hingegen (sofern nicht schon bereits vorhanden) sollten die Veröffentlichungen der 2018 ins Leben gerufenen 14000ér Serie der Bären Familie stehen. 

Mit dem 10“ Album „Pick ´em up and lay ´em down“ von Glen Glenn auf BAF 14001 startete die Serie mehr als nur spektakulär und ließ mich sofort um Fassung ringen.  12, auf Vinyl bislang unveröffentlichte Aufnahmen des grandiosen Mr. Troutman bildeten den perfekten Startschuss für das neue Vinylzeitalter des Labels. 

Epochale, essentielle Meisterwerke von Carl Perkins, Vince Maloy, Dennis Herold, Bill Carter und anderer Künstler, sowie Labelabhandlungen zu Moon Records, Colonial, Felsted und jüngst zu Star Records, bilden die Herzstücke der Serie. Allesamt in großartiger Aufmachung, toller Tonqualität und begleitet von massenhaften Informationen, lösen sie bei  mir regelmäßig vollständige Begeisterung aus und lasen mein Herz höher schlagen. 

Aufgrund meiner persönlichen Abneigung gegen CD´s besitze ich nur rund 2500 von den Dingern. Ein nicht unerheblicher Teil davon stammt dabei aus dem Hause Bear Family.

Zwar bereichern sie nicht meine Plattensammlung, sind und waren aber jederzeit in der Lage mich mit großartiger, oftmals nie zuvor gehörter Musik zu versorgen und damit meinen Horizont und mein Wissen zu erweitern. Auch wenn sie definitiv das falsche Format haben und ich sie aus Infektionsschutzgründen räumlich stets von den „richtigen“ Platten getrennt halte, möchte ich keine einzige von ihnen missen.

Anlässlich des 30. Geburtstages von Bear Family Records im Jahre 2005 wurde ich gebeten, für das Begleitbuch der Jubiläumsbox meine persönliche Top Ten Liste an Bear Family Veröffentlichungen zu erstellen. Eine unmögliche Aufgabe, die mich schon damals extrem überforderte. Die dann von mir erstellte Rangliste war mehr oder weniger willkürlich erstellt, da sowohl die Reihenfolge, als auch die tatsächlich genannten Produkte, je nach Tagesform austauschbar gewesen wären. Schon damals gab es einfach viel zu viele überragende Veröffentlichungen, die nicht nur nicht vergleichbar waren, sondern allesamt berechtigt gewesen wären, auf einer solchen Top Ten Liste Erwähnung zu finden. 

Schon damals wäre die Erstellung einer Top 100 oder Top 200 Liste erheblich einfacher gewesen. 

Heute, 20 Jahre und viele hundert Produkte später, würde ich mir selbst die Erstellung einer Top 500 Liste nicht mehr zumuten, da noch immer viel zu viele großartige Veröffentlichungen des Labels auf einer solchen Liste unberechtigter Weise keine Berücksichtigung gefunden hätten.

Mein eigenes Resümee aus dieser Be- und Rückbetrachtung zum 50. Geburtstag von Bear Family Records lautet:

Ich liebe Bear Family Records  bis zum Maximum, werde ihnen zeitlebens für ihre großartige Arbeit dankbar sein, halte sie für über jeden Zweifel und  Kritik erhaben und werde der erste sein, der einen Antrag auf „Heiligsprechung“ unterschreiben wird. 

46 ihrer 50 Jahre haben sie mich auf meinem Lebensweg begleitet und diesen extrem bereichert. Ich wünsche mir von Herzen, dass der gemeinsame Weg noch lange nicht am Ende ist und wir gemeinsam (noch viel) älter werden. 

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH BEAR FAMILY RECORDS!  You´re the best!!!

 

 

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